Die Women in Chess Foundation ist eine neue Initiative, die das Ziel verfolgt, sich für Frauen in der Schachgemeinschaft einzusetzen und sie zu stärken. Women in Chess ist bestrebt, ein sichereres und inklusiveres Umfeld für Frauen bei Schachturnieren zu schaffen. Gleichzeitig soll das Frauenschach durch Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit gefördert werden. Michael Busse von Schachgeflüster sprach mit der Gründerin und Vorsitzenden, Emilia Castelao.
Frau Castelao, was genau hat Sie bewogen, die Women in Chess Foundation zu gründen?
Ich studiere Geschichte, und durch meine Liebe zur Schachgeschichte bin ich letztes Jahr tiefer in die Schachszene eingestiegen. Während dieser kurzen Zeit habe ich erkannt, wie wichtig es für junge Mädchen und Frauen ist, dass sie dort respektvoll behandelt werden. Diskriminierung und sexuelle Belästigung dürfen in der Schachwelt keinen Platz haben. Je sicherer und wohler sich Frauen fühlen, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie beim Schach bleiben.
Wer ist denn noch Teil Ihres Teams?
An erster Stelle ist unser Mitgründer Michael Duke (Foto) zu nennen. Viele kennen ihn unter seinem Twitter-Namen Mr. Dodgy oder als Marketing-Mitarbeiter von Chessable. Er hat öfters erlebt, wie bestimmte Vorkommnisse einfach unter den Teppich gekehrt wurden und wollte etwas dagegen unternehmen. Deshalb haben wir uns zusammengetan. Es gehören aber noch weitere prominente Namen zum Team wie z.B. Jennifer Shahade oder Geert van der Velde, der CEO von Chessable.
Viele Männer glauben nicht, dass es im Alltag von Schachspielerinnen immer wieder zu sexuellen Belästigungen kommt. Welche Beispiele gibt es dafür?
Leider viel zu viele. Im August 2023 haben 14 Schachspielerinnen einen offenen Brief geschrieben und mehrere Vorfälle aufgeführt. Jennifer Shahade und weitere Spielerinnen haben Belästigungen gemeldet. Die englische WIM Sabrina Chevannes hat berichtet, dass sie sich wegen solcher Vorfälle gegen eine Karriere als Schachspielerin entschieden hat. Es gibt noch viele weitere Beispiele. Die allermeisten Fälle werden gar nicht öffentlich, weil die Opfer zu viel Angst haben oder weil das Umfeld den Täter schützt, anstatt sich an die Seite des Opfers zu stellen.
Bei der Women in Chess Foundation können sich Schachspieler zum “Advocate” ausbilden lassen. Was ist die Aufgabe der Advocates?
Das ist in der Tat eines unserer wichtigsten Programme. Wir möchten erreichen, dass bei möglichst jedem Schachturnier ein Advocate benannt und erreichbar ist. Advocates sind speziell ausgebildete, unabhängige Fürsprecher. Wer von Diskriminierung oder Fehlverhalten betroffen ist, kann sich vertrauensvoll an einen Advocate wenden und mit diesem besprechen, welche Optionen zur Verfügung stehen.
Gibt es schon einen Advocate in Deutschland?
Ja, wir kooperieren mit dem Berliner Schachverband, der unsere Initiative unterstützt. Der Präsident Paul Meyer-Dunker ist unser erster Advocate aus Deutschland. Wir hoffen, dass noch viele weitere folgen werden.
Wie erhalten Schachspieler Kenntnis darüber, ob bei ihrem Turnier ein Advocate anwesend ist?
Wir möchten die Turnierorganisatoren dafür sensibilisieren, dass sie bereits bei der Begrüßung die Spielerinnen und Spieler darüber informieren. Aktuell sind wir aber noch nicht so weit, dieses Angebot flächendeckend unterbreiten zu können. Wir haben ja gerade erst angefangen.
Was kann man tun, wenn man außerhalb eines Schachturniers Opfer von sexueller Belästigung oder Missbrauch geworden ist?
Zunächst einmal tun uns alle Personen, die so etwas durchgemacht haben oder durchmachen müssen, sehr leid. Sie können jederzeit unsere Website, insbesondere die Seite "Find an Advocate", nutzen, um einen Advocate zu kontaktieren. Dieser wird mit Ihnen über Ihre Möglichkeiten sprechen.
Müssen Opfer befürchten, dass ein Vorfall gegen ihren Willen veröffentlicht wird?
Nein! Es liegt immer in der Entscheidung des Opfers, ob Verfehlungen öffentlich gemacht werden oder nicht.
Wie kann man sich als Advocate ausbilden lassen?
Gehen Sie einfach auf unsere Homepage womeninchess.com. Unter dem Menüpunkt “Advocacy” können Sie sich für ein englischsprachiges Training bewerben. Dieses findet online statt und dauert sechs Stunden. Sie müssen älter als 18 Jahre sein und in der Lage sein, die mit der Rolle verbundenen Aufgaben wahrzunehmen. Die Kosten betragen 35 Euro.
Gibt es bereits Schachspieler, die dieses Angebot annehmen?
Und ob. Wir haben deutlich mehr Bewerbungen als erwartet. Deshalb haben wir die Gruppengröße erhöht und zusätzliche Termine eingeführt. Bis zum Ende des Jahres rechnen wir mit ungefähr 50 Advocates in zwölf verschiedenen Ländern.
Was passiert, wenn ein Advocate sich unangemessen verhält oder einer Sache nicht richtig nachgeht?
Wir hatten so etwas zwar noch nie, aber in einem solchen Fall kann man den Advocate über unsere Homepage melden. Unser Advocacy Kommittee und ich selbst werden dann den Fall untersuchen.
Der US-amerikanische Schachverband geriet vor kurzem in negative Schlagzeilen, weil er nach den Missbrauchsvorwürfen gegen Großmeister Alejandro Ramirez keine ausreichenden Ermittlungen durchführte. Wie können sich Verbände in solchen Situationen besser verhalten?
Solche Sachverhalte müssen vollständig aufgeklärt werden. Dazu braucht es effiziente Meldewege und Unterstützung für die Opfer. Zur Vermeidung derartiger Vorfälle ist es sinnvoll, präventive Maßnahmen einzuführen. Women in Chess unterstützt Verbände dabei, geeignete Leitlinien zu entwickeln und einzuführen. Das ist ein weiterer wichtiger Baustein unserer Tätigkeit.
Wie stehen Sie zum Fall der türkischen Schachspielerin WGM Kübra Öztürk Örenli, die aufgrund ihrer Schwangerschaft nicht für die Nationalmannschaft nominiert wurde und am Besuch von Turnieren gehindert wurde?
Diskriminierung gegen schwangere Frauen ist absolut inakzeptabel. Schachverbände sollten ihre Schach spielenden Frauen fördern und ihnen keine Steine in den Weg legen. Es gibt viele Sportarten, die man betreiben kann, ohne das ungeborene Kind zu gefährden. Schach steht sicherlich weit oben auf dieser Liste. Wir hoffen, dass der türkische Schachverband diese Angelegenheit angemessen aufarbeitet und löst.
Man hat das Gefühl, dass über Frauenschach in der Öffentlichkeit relativ wenig berichtet wird. Wie lässt sich das verbessern?
Dieses Gefühl ist absolut berechtigt. Frauen sind in der medialen Berichterstattung im Schach unterrepräsentiert. Ein weiteres Ziel von uns ist es deshalb, die Aufmerksamkeit der Medien stärker in Richtung Frauenschach zu lenken.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Frauen im Schach bislang unterrepräsentiert sind?
Wir können über die Ursachen nur spekulieren. Aber ich glaube, dass es viel damit zu tun hat, welche Atmosphäre gegenüber Frauen herrscht. Aktuell läuft eine interessante Studie der spanischen Schachspielerin María Eizaguerri, die sich diesem Thema widmet. Ich bin schon gespannt auf die Ergebnisse.
Der Weltschachverband FIDE hat das Jahr 2022 zum Year of Woman in Chess ausgerufen. Sehen Sie die FIDE auf einem guten Weg?
Ja und nein. Es gibt einige Aktivitäten. Aber sehen Sie sich einmal den Preisfonds des FIDE Grand Swiss auf der Isle of Man an. In der offenen Klasse beträgt er 460.000 Dollar, für Frauen 140.000 Dollar.
Wie kann man Women in Chess unterstützen?
Sie können sich als Advocate ausbilden lassen oder auch in unseren anderen Kernbereichen wie den Leitlinien sowie der Berichterstattung mitarbeiten. Auf unserer Homepage können Sie sich dazu als Volunteer bewerben. Außerdem nehmen wir natürlich auch sehr gerne Spenden entgegen. Wir werden diese dazu nutzen, unsere Ziele besser zu erreichen und damit letztlich den Schach spielenden Frauen zu helfen.
Zum Paypal-Spendenkonto der Women in Chess Foundation
Sprechen wir noch kurz über Sie selbst: Was machen Sie, wenn Sie sich nicht dem Frauenschach widmen?
Ich lebe zurzeit in Wien und studiere dort an der Diplomatischen Akademie. Besonders interessiere ich mich für europäische Geschichte und natürlich auch für Schachgeschichte. Nebenbei bin ich auch Schachfotografin, gehe also gerne auf Turniere und setzte dort die Spielerinnen und Spieler in Szene.
Stimmt es, dass Sie sich in Ihrer Masterarbeit auch mit Schach beschäftigen?
Ja richtig. Der Titel lautet “Schachmatt in den Hallen der Macht: Eine Evaluierung über Schach als Symbol für Strategie und Macht in der politischen Populärkultur”. Hintergrund ist, dass Schach über die Bedeutung als Spiel hinaus auch immer wieder eine politische Bedeutung hatte. Die Sowjetunion hat Schach zur Ausübung staatlicher Macht benutzt. Allerdings hat sie das Schachspiel auch immer wieder als Mittel zur Diplomatie eingesetzt.Dies näher herauszuarbeiten ist sehr spannend.
Schachgeflüster wünscht Ihnen weiterhin viel Erfolg.
Herzlichen Dank