Das folgende Interview erschien in der Februar-Ausgabe des Schach-Magazin64:
Der Mann, der das Schach aus der Turnhalle rausbringen möchte | Jan Henric Buettner
Es gibt viele Orte, die für ihre Schachturniere bekannt sind, wie zum Beispiel Wijk aan Zee, Hastings oder Linares. Aber wohl kaum jemand in der Schachszene hat schon einmal von einem kleinen Ort an der Ostsee namens Weissenhaus gehört. Das dortige Luxushotel ist vom 9. bis 16. Februar Schauplatz eines Superturniers mit Magnus Carlsen, Vincent Keymer und vielen anderen hochklassigen Spielern. Möglich gemacht hat das Jan Henric Buettner. Der 59-jährige ist erst vor kurzem in der Schachwelt aufgetaucht. Doch zuvor hat er sich international einen Namen als Internetpionier, Techmanager und Venture Capitalist gemacht. Michael Busse von Schachgeflüster sprach mit ihm über seinen Werdegang, seine neu entdeckte Liebe zum Schach und darüber, wie es zu der Idee mit dem Turnier kam.
Herr Buettner, können Sie die Anfänger Ihrer unternehmerischen Karriere einmal im Schnelldurchlauf skizzieren?
Begonnen habe ich im Medienbereich beim Axel Springer Verlag. Danach habe ich mich im digitalen Mobilfunk engagiert, habe Audio- und Telekommunikationsdienste gegründet und auch einen eigenen Multimediadienst, der dann zu AOL Europa geworden ist.
Sie haben gegen den Bertelsmann Konzern eine Gewinnbeteiligung am Verkauf von AOL Europa durchgesetzt. Im Schachsport haben wir ja auch Erfahrungen mit millionenschweren Rechtsstreitigkeiten wie zum Beispiel im Fall Hans Niemann. Gibt es Parallelen zu Ihrem Fall?
Das bei mir war jedenfalls auch ein sehr aufwändiges Verfahren mit monatelangen Verhandlungen vor einer Jury. Die Sache mit Niemann und den Cheating-Vorwürfen habe ich natürlich verfolgt, kenne aber keine Einzelheiten. Bei unserem Turnier wird das Thema Anti-Cheating aber definitiv hochgeschrieben, auch wenn ich nicht glaube, dass wir Spieler dabei haben, die sich betrügerisch betätigen wollen.
Das Turnier findet in Weissenhaus statt. Welche persönliche Geschichte steckt für Sie hinter diesem Ort?
Um das Jahr 2006 habe ich mich aus dem Venture Capital Geschäft zurückgezogen, da ich keine Motivation mehr darin gesehen habe, einfach immer nur Geldvermehrung als Selbstzweck zu betreiben. Damals war ich recht orientierungslos. Es gab dann die Gelegenheit, in der Gegend meiner Herkunft an der Ostsee ein ganzes Dorf zu kaufen. Dazu gehörte auch ein total heruntergekommenes Schloss. Erst einmal musste ich für die infrastrukturelle Erschließung des Dorfes sorgen. Das Hotel habe ich dann aufgebaut und im Jahr 2013 eröffnet. Inzwischen ist es in der Luxushotellerie sehr bekannt. Wir haben zum Beispiel 2022 den G7-Außenministergipfel ausgetragen.
Wie kam denn der Gedanke in Ihnen auf, sich mit Schach zu beschäftigen?
Ich hatte in meinem Leben wenig Zeit, weil ich immer viele berufliche Projekte am Laufen hatte. Irgendwann war es aber an der Zeit, mal zu überlegen, was mich eigentlich als Person weiterbringt. Darum habe ich ein kleines Büchlein geschrieben, in dem ich meine Lebensweisheiten festgehalten habe. Außerdem habe ich zwei Themen identifiziert, die mir guttun: Das erste war die Musik, weshalb ich auch in meinem Resort ein hochwertiges Tonstudio bauen lassen habe. Und das zweite ist Schach. Das Schach habe ich eigentlich erst vor einem Jahr wieder für mich entdeckt.
Über das Damengambit?
Nein, unabhängig davon. Ganz ursprünglich kam ich sogar in meiner Hamburger Grundschule mit Schach in Berührung. Der Mann meiner Klassenlehrerin brachte Kindern das Schachspielen bei. Zuletzt habe ich ein bisschen das internationale Schachgeschehen verfolgt. Ich habe dann eine Aussage von Magnus Carlsen gehört, der sinngemäß sagte: Ich fange gerade erst an, Schach zu verstehen. Das fand ich sehr beeindruckend, weil das auch mein Lebensmotto ist: The more I learn, the less I know. Man sollte sich immer vor Leuten hüten, die meinen, sie wissen alles. Jedenfalls weckte das wieder meinen Ehrgeiz, das Schach zu lernen.
Sind Sie in einen Schachverein gegangen?
Nein, dazu bin ich nicht der Typ und auch viel zu viel unterwegs. Ich bin online auf das Programm von Niclas Huschenbeth gestoßen, Chessence. Ich habe dann gleich das ganze Paket gekauft und erstmal gemerkt, wie wahnsinnig intensiv man sich damit beschäftigen muss. Irgendwann schrieb Niclas, dass er mal in Hamburg sei und seine Kunden treffen wollte. Ich habe ihn und seine Freundin dann für ein Wochenende nach Weissenhaus eingeladen. Wir haben uns ein bisschen unterhalten, und so wurde die Idee für das Schachturnier geboren.
Was mir daran besonders gefällt ist, dass Niclas Huschenbeth und Sie beide Kinder des Hamburger Schulschachs sind, wie Tausende andere auch. Aber Niclas ist ja an sich kein Turnierdirektor.
Das stimmt, und deshalb hat er mich mit Sebastian Siebrecht bekannt gemacht. Wir haben uns erstmal gemeinsam angeguckt, wie Schachturniere in der Öffentlichkeit präsentiert werden. Ich fand das ganz traurig. Zuletzt bin ich öfters in der Formel 1 zu Gast gewesen. 95 Prozent der Berichterstattung betreffen nicht das Rennen selbst, sondern das Drumherum. Im Schach ist da viel mehr drin.
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Der Starspieler ist ja Magnus Carlsen. Wie sind Sie an ihn herangekommen?
Ich habe Sebastian von Anfang an gesagt: Wenn wir ein Turnier in Weissenhaus machen, dann nur, wenn wir Magnus Carlsen an Bord haben. Sebastian hat mir dann den Kontakt zu seinem Vater Henrik hergestellt. Als ich gerade in Dubai war, spielte Magnus in Katar. Ich flog rüber und unterhielt mich an drei aufeinander folgenden Tagen mit Henrik. Ich habe ihm gesagt, wie ich mir die Präsentation eines Schachturniers in Weissenhaus vorstelle. Ich möchte Schach aus der Turnhalle rausbringen und ein angemessenes Umfeld für die Topspieler der Welt schaffen. Ich sorge für die Inszenierung, und die Spieler für das Schach.
Es wird ja kein klassisches Schach gespielt, sondern Chess960. Wieso?
Magnus sagte von Anfang an, dass er Fischer Random spielen möchte. Mir sagte das zuerst gar nichts. Ich fand das dann aber einen interessanten neuen Ansatz. Der Name passte mir aber gar nicht, weil das wieder ein Fachbegriff ist. Deshalb habe ich es erst einmal Freestyle Chess genannt.
Der Name Chess960 hat Ihnen nicht gefallen?
Nö. Damit kann keiner außerhalb der Schachwelt etwas anfangen. Ich betrachte das Ganze immer aus der Konsumentensicht. Man muss es für diejenigen optimieren, die nicht tief in der Schachszene drin sind. Formel 1 gucken ja auch nicht nur Autorennfahrer, sondern Leute, die an einem Spektakel interessiert sind. Der Begriff Freestyle Chess ermöglicht außerdem, im nächsten Jahr vielleicht eine Weiterentwicklung anzubieten. Es gibt ja bei Chess960 viele Stellungen, die uninteressant sind. Das sagen mir zumindest die Experten. Wenn man diese Stellungen eliminiert, dann kann man das auch Carlsen Random nennen, und es bleibt immer noch Freestyle Chess.
Wie ging die Geschichte mit Henrik und Magnus Carlsen in Katar denn weiter?
Zunächst haben meine Frau und ich die beiden schon am ersten Tag kurz in der Hotellobby getroffen, aber nur für ein paar Minuten. Das, was wir hier in diesem Interview kurz besprechen, habe ich Henrik über mehrere Stunden erzählt. Henrik meinte dann: Keine Sorge, Magnus wird kommen. Mir ging es aber nicht darum, dass er kommt, sondern dass er voll dahintersteht. Das Ganze kostet mich immerhin über eine Million Euro. Henrik hat das voll verstanden. Aber er hatte nicht wirklich Zeit, das mit seinem Sohn zu besprechen. Ich sagte dann: Ohne face-to-face-Gespräch mit Magnus mache ich das nicht. Wenn der Zeitpunkt jetzt nicht passt, machen wir das halt ein Jahr später.
Das klingt fast nach einem Scheitern.
Beinahe. Meine Frau meinte auch, die Million können wir sicherlich auch anders ausgeben. Am allerletzten Tag erhielt ich dann eine WhatsApp von Henrik, dass wir Magnus und ihn in der Lobby treffen können. Dieses Gespräch war dann genial. Wir saßen zu viert eine Dreiviertel Stunde zusammen. Magnus war voll angeschaltet und war Feuer und Flamme. Das ist schon beeindruckend, wenn so ein Mensch von absoluter Weltbedeutung, der auf seinem Gebiet Unfassbares erreicht hat, so begeistert ist. Da bekommt man richtig Gänsehaut. Da war dann klar: Natürlich machen wir das. Magnus sagte genau, wie er es haben will. Am nächsten Tag bin ich aufgewacht und dachte: Ok, jetzt musst du das geilste Turnier aller Zeiten bauen, weil du es versprochen hast. Seitdem bin ich quasi jeden Tag damit beschäftigt, zu überlegen, was wir für tolle Sachen machen können. Henrik hatte zum Beispiel die Idee, dass wir das Stresslevel der Spieler mit Pulsuhren messen. Und wir haben auch eine Confession Box, in die die Spieler während der Partie reingehen und den Fernsehzuschauern Einblick in ihre Gedanken geben können.
Es war Ihnen offenbar auch wichtig, neben Magnus Carlsen weitere Topspieler zu verpflichten: Ding Liren, Caruana, Aronian, Firouzja, Gukesh, Abdusattorov und natürlich auch Vincent Keymer. Wie sind Sie an die alle herangekommen? Ding Liren zum Beispiel gilt seit einiger Zeit als praktisch verschollen.
Es ist nicht nur mein Turnier, sondern eine gemeinsame Aktion von Magnus und mir. Magnus hat die anderen Spieler handverlesen eingeladen. Bei Ding Liren war es einfach gutes Timing. Er hat gerade sowieso überlegt, wie er seinen Wiedereintritt macht. Das Teilnehmerfeld ist unfassbar stark und attraktiv. Man kann das Feld in zwei Gruppen einteilen: Vier Spieler, die das Schach seit Jahrzehnten dominieren und alle eine Elozahl von mehr als 2800 erreicht haben. Und dann diese vier unfassbar starken Jungstars, alle zwischen 17 und 20, darunter Keymer als Deutscher. Abdusattorovs Teilnahme war übrigens ein ausdrücklicher Wunsch von Magnus.
Einer ist nicht dabei, nämlich der aktuelle Chess960-Weltmeister Hikaru Nakamura. Ist das ein Wermutstropfen?
Wir haben ihn eingeladen, aber er hat ganz nett abgesagt, nachdem er sich auf der Isle of Man fürs Kandidatenturnier qualifiziert hat. Er sieht es für sich als zu große Ablenkung in der Vorbereitung. Caruana hat sich daran nicht gestört, aber ich respektiere das natürlich. Vielleicht ist Hikaru ja nächstes Jahr dabei.
Wie ist das genaue Format, also wie ermitteln die acht Spieler ihren Besten?
Da kommen wir auf ein Terrain, wo ich auf die Expertise von Sebastian Siebrecht angewiesen bin. Grundsätzlich wird es so sein, dass wir über zwei Tage Jeder gegen Jeden in einer Schnellrunde spielen. Über diese zwei Tage werden die Plätze eins bis acht ermittelt. Danach gibt es ein Viertelfinale mit Hin- und Rückspiel, Halbfinale und Finale.
Und ab dem Viertelfinale in klassischer Bedenkzeit?
Genau. Ansonsten wird Chess960 meistens in Schnellform gespielt, hier haben wir es als Langformat.
Wo kann man das Turnier verfolgen?
Wir haben das Ganze so aufgesetzt, dass wir es perfekt professionell online übertragen können. Wir werden auf jeden Fall einen Twitch-Kanal haben und sind auch mit chess.com in Verhandlungen. Die Norweger sind auch interessiert, vielleicht passiert auch was mit Indien. Bei den Kommentatoren haben wir mit Peter Leko und Tanja Sachdev ins höchste Regal gegriffen. Für die deutschen Zuschauer haben wir Niclas Huschenbeth. Es soll auch tägliche Zusammenfassungen geben. Vor Ort haben wir keine große Anzahl Zuschauer geplant, da wir fürs Turnier eher eine Fernsehstudio-Atmosphäre haben. Einzelne Zimmer zur Übernachtung sind aber verfügbar.
Können Sie sich eine Wiederholung vorstellen, wenn das Turnier gut gelaufen ist?
Wir haben mit Magnus besprochen, dass wir uns nach dem Turnier zusammensetzen. Ich mache das Ganze ja hauptsächlich für die Spieler. Die stehen für mich im Vordergrund, und sie kennen sich auch am besten damit aus, was notwendig ist. Ich vergleiche das gern mit dem Tennis. Tennis ist erst groß geworden, als die ATP die Organisation übernommen hat, und die ATP ist ja eine Spielervereinigung. Das Gleiche im Golf mit der PGA. Ich werde aber nicht jedes Jahr eine Million auf den Markt schmeißen. Dann müssen wir uns andere Finanzierungen überlegen. Wir haben einige Partner, die aber momentan nur in Form von Sachleistungen unterstützen. BMW stellt zum Beispiel jedem Spieler ein Auto mit Fahrer zur Verfügung. Ein weiterer Partner ist Polar für die Pulsuhren. Wir wollen jetzt erst mal das beste Event aller Zeiten hinbekommen und schauen dann weiter.
Stichwort Sponsoring: Der Deutsche Schachbund und der deutsche Schachsport allgemein tun sich sehr schwer damit, Sponsoren zu finden. Es gibt einzelne Mäzene, die zum Beispiel einen Bundesligaverein finanzieren, aber keinen Gegenwert in Form von Reichweite für ihre Unternehmensmarke bekommen. Was liegt hier aus Ihrer Sicht im Argen?
Das ist ja genau das, wo ich mich jetzt engagiere. Ich möchte gerne mit meiner Expertise und Infrastruktur Schach so gut präsentieren, wie man es nur machen kann. Wir messen danach die Medienreichweite und sind dann in der Lage, auf Investoren zuzugehen. Einmal muss man das Henne-Ei-Problem lösen und in Vorleistung treten. Aber wenn es eine Möglichkeit gibt, an Schachsponsoren heranzukommen, dann auf dieser Basis.
Können Sie sich vorstellen, sich als Sponsor breiter zu engagieren? Spitzenschach ist natürlich das eine, aber auch das Breitenschach ist wichtig. Der Schachbund musste zum Beispiel eine tolle Schulschachaktion wegen der Finanzen einstellen. Im Jugendbereich haben wir drei Zwölfjährige, die Weltklasse sind und gefördert werden sollten. Ist so etwas für Sie denkbar?
Klar. Da läuft auch schon eine ganze Menge über Sebastian Siebrecht, der ja auch Veranstaltungen organisiert. Aber mir geht es jetzt in erster Linie um den Erfolg beim Turnier. Erfolg heißt für mich in diesem Fall nicht nur eine perfekte Veranstaltung, sondern dass langfristig etwas entsteht, worauf ich in zwanzig Jahren zusammen mit Henrik Carlsen zurückblicken und sagen kann: Schau mal, das haben wir uns alles damals in Katar überlegt. Was den Nachwuchs angeht, gilt wieder die Parallele zur Formel 1: Auch da gibt es eine Formel 2, eine Formel 3 und alle möglichen Nachwuchsklassen. Aber inwieweit diese drei Zwölfjährigen in so ein Format reinpassen, das muss Sebastian beurteilen.
…Der ein großes Herz für das Kinder- und Jugendschach hat. Was ist denn mit Frauen? Der Frauenanteil im Deutschen Schachbund liegt bei etwa zehn Prozent. Wenn wir wachsen wollen, sollten wir mehr Mädchen und Frauen zum Schach bringen. Sollten Sie nicht auch ein paralleles Frauenturnier anbieten?
Ich bin total dafür. Aktuell spielen Frauen leider eine so untergeordnete Rolle im Schach, dass es für die erste Ausgabe keine Option war. Wir müssen erstmal das Flaggschiff nach vorne bringen. Aber wir versuchen zum Beispiel schon in diesem Jahr, Judit Polgar noch zu integrieren, um auch Frauen gesondert anzusprechen.
Ich hoffe auf ein langfristiges Engagement von Ihnen. Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg!
Danke sehr.