Die 6 interessantesten Lehren aus der Blitz- und Schnellschach-WM in New York

Die 6 interessantesten Lehren aus der Blitz- und Schnellschach-WM in New York

Die Blitz- und Schnellschach-WM in New York bot einiges an Drama und Emotionen. Doch es lassen sich auch einige Lehren daraus ziehen. In diesem Artikel werfen wir einen Blick zurück auf die wichtigsten Ereignisse.
Der Schachkommunikator Walter Rädler im Podcast Du liest Die 6 interessantesten Lehren aus der Blitz- und Schnellschach-WM in New York 7 Minuten Weiter Schachturniere 2025: Das passiert 2025 im Schach

Die Blitz- und Schnellschach-WM in New York zum Jahresende bot nicht nur sportliche Höhepunkte, sondern war auch durch den "Jeansgate"-Skandal um Magnus Carlsen wieder in allen Medien präsent. Hier die sechs interessantesten Lehren aus der WM: 

1. Magnus Carlsen sitzt am längeren Hebel

Der Skandal um die Jeans von Magnus Carlsen zeigt: Der weltbeste Spieler sitzt derzeit am längeren Hebel. Eine WM ohne den Norweger ist für den Ausrichter und die Sponsoren nur halb so viel Wert. Nachdem Carlsen wegen Verstoßes gegen den Dresscode in Runde 9 keinen Gegner zugeteilt erhielt ("Jeans Gambit"), war er bereit, abzureisen. Doch FIDE-Präsident Dvorkovich hielt ihn davon ab und erlaubten ihm, fortan in Jeans zu spielen - und das trotz vorheriger Beschimpfung der FIDE-Offiziellen durch Carlsen ("Fuck you"). Zu groß war der Druck der Sponsoren, die Carlsens Anwesenheit verlangten. 

Grafik: unbekannt

Im Interview auf Take Take Take wirkte Carlsen wenig geläutert und entschuldigte sich mit Müh und Not für seine Wortwahl. Dabei teilte er kräftig gegen FIDE-CEO Sutovski sowie den Hauptschiedsrichter aus. Auch sein ständiges Zuspätkommen wie gegen den deutschen GM Michael Bezold (er trainierte einst mit Bobby Fischer) bleibt unbeanstandet. Carlsen sitzt fest im Sattel. 

Das Einverständnis der Offiziellen mit Carlsen Idee, den ersten Platz zu teilen, zeigt ebenso: Für das Aushängeschild des Schachs ist man seitens der FIDE bereit, die eigenen Regeln maximal auszudehnen.  

Hinter den Kulissen: Carlsen und Nepo gratulieren sich gegenseitig zum geteilten ersten Platz (Foto: ChessBase India)

Schon im Vorfeld der WM hatte Carlsen einen Sieg gegen die FIDE errungen: Im Konflikt zwischen FIDE und der "Freestyle Chess Operations GmbH" um die Rechte, eine "Freestyle-WM" austragen zu dürfen, machte die FIDE einen Rückzieher. In einer Erklärung wurde eine "friedliche Koexistenz" verkündet. Zuvor hatte die FIDE offenbar Carlsen; Nakamura und weiteren Stars angedroht, ihnen die Teilnahme an FIDE-Turnieren zu verbieten, sollten sie an einer Freestyle-WM teilnehmen. Dieser Schuss ging nach hinten los, eine Spaltung der Schachwelt in zwei Verbände konnte vermieden werden. 

2. Die kurzen Zeitformate sind für Überraschungen gut. 

Nach dem Ausscheiden von Carlsen aus der Schnellschach-WM war sie endlich da, die langersehnte Chance der Dauerkandidaten hinter Magnus wie Nakamura, Caruana oder Nepo. Doch ein anderer, an Nummer 59 gesetzter Spieler schnappte sich die Rapid-Krone: Der 18-jährige Volodar Murzin. Als 13-jähriger saß er bei der Blitzschach-WM nach einem verlorenen Endspiel weinend am Brett. Nun kam für ihn die große Stunde. Nach Siegen u.a. gegen Duda und Praggnanandhaa genügte ihm ein Remis in der letzten Partie gegen den Armenier Grigoryan. 

Interessanter Fakt: Als Gukesh 2018 in Santiago die U12-Weltmeisterschaft gewann, holte er dabei 10/11 Punkte und verlor nur eine Partie: gegen Murzin. 

Foto: ChessBase India

3. Wir lieben die Emotionen

"Blutleer" waren die Partien der klassischen WM zwischen Gukesh und Ding Liren für einige Betrachter. Auch wenn darüber vortrefflich gestritten werden kann: Für die Schnellschach- und Blitz-WM kann das keiner behaupten. Die Spieler zeigten die volle Palette an Emotionen. So wie Carlsen, der nach seinem schwierigen Sieg gegen Niemann die Figur auf das Brett schmetterte. 

Gemeinsam mit Nepomniachtchi sorgte er für einen "Bromance"-Moment, als er seinem Dauerrivalen und Freund die Siegertrophäe überließ. Nepo wirkte im Video sichtlich gerührt.

 

Foto: ChessBase India

Dass nicht alle mit der Idee eines geteilten ersten Platzes glücklich sind, liegt auf der Hand. Hans Niemann - ebenfalls berühmt-berüchtigt für seine Emotionen, erklärte die Schachwelt zum "Witz" und zeigte sich als Anhänger des Highlander-Prinzips: Es kann nur einen geben. 

Und auch Elisabeth Pähtz war nicht sehr begeistert über die Entscheidungsbefugnisse von Carlsen: 

Ganz so neu ist die Idee eines geteilten ersten Platzes nicht: Beim olympischen Hochsprung-Finale einigten sich die beiden Kontrahenten auf eine doppelte Goldmedaille, was als "großer Moment der olympischen Geschichte" gewertet wurde. 

Ein emotionales Drama musste ein alter Bekannter erleiden: Vasyl Ivanchuk, Schnellschach-Weltmeister von 2016. In Runde 11 (Blitz) trat er gegen Daniel Naroditsky an, der zuvor im Übrigen klare Worte gegenüber Wladimir Kramnik und dessen ständiger Cheating-Anschuldigungen gefunden hatte ("Kramnik ist schlimmer als Dreck"). 

In überlegener Stellung verpasste es Ivanchuk, rechtzeitig den nächsten Zug zu machen, und verlor auf Zeit (im verlinkten Video ab ca. 01:20). Es spricht für Naroditskys menschliche Klasse, dass er nicht etwa triumphierte, sondern sichtlich mit Ivanchuk mitlitt. 

 

 

4. Endspielbeherrschung bleibt König

Gerade in kurzen Zeitformaten werden besonders viele Partien im Endspiel entscheiden. Auch auf Weltklasse-Ebene werden regelmäßig ganze Partieverläufe im Endspiel auf den Kopf gestellt. Das beste Beispiel lieferte Carlsen selbst. Gegen den Niederländer Benjamin Bok verschenkte er einen halben Punkt, indem er mit Schwarz 1. ...b6?? spielte. Es folgte 2. Ka4 und Remis. Richtig wäre 1. ...b5! gewesen. Nach 2. cxb5 Kxb5 käme Weiß in Zugzwang. 

 

5. Bei den Frauen sind die EU-Länder abgehängt

Die Dominanz der außereuroäischen Staaten bei den Frauen wurde auch bei dieser WM wieder offenkundig. Die Teilnehmerinnen des "Knockout Stage" (Viertelfinale) kamen aus China, Indien, Kasachstan, den USA, ergänzt durch zwei Spielerinnen, die unter der FIDE-Flagge spielten. 

Gewinnerin wurde die Chinesin Ju Wenjun, im Schnellschach siegte die "ewige" Humpy Koneru aus Indien. 

Bei der Schacholympiade 2024 sah es für die europäischen Länder noch etwas besser aus, dort landete Spanien immerhin auf Rang 4 - jedoch maßgeblich aufgrund Verstärkung durch die gebürtige Iranerin Sarasadat Khademalsharieh.

Die europäischen Verbände sowie die Europäische Schachunion (ECU) müssen sich - neben der Förderung des Mädchenschachs - etwas einfallen lassen, um die Leistungslücke in Richtung Asien und USA wieder zu schließen.  

6. Der neue Exklusiv-Kanal ist Take Take Take

Neben chess.com, chess24, FIDE sowie ChessBase India gesellt sich nun ein weiterer großer YouTube-Kanal für Liveübetragungen dazu: Take Take Take. Am 30. September 2024 beigetreten, verfügt der Kanal bereits jetzt über 115.000 Abonnenten und 20 Millionen Aufrufe. Mit Levy Rozman als Interviewer und Exklusiv-Interviews mit den Topspielern ist Take Take Take bereits jetzt die erste Anlaufstelle für Schachübertragungen. 

Der YouTube-Kanal ist aber eigentlich nur das Anhängsel zur Take Take Take App, die von Carlsen ins Leben gerufen wurde. Diese entwickelte sich aus einer App für Fantasy Chess (eine Art virtuelle Schachliga) hin zu einer App für Liveübertragungen von echten Events. Eigentümer ist die Aktiengesellschaft Take Take Take AS mit ihrem CEO Mats Andre Kristiansen. Kristiansens Vision: 

"Mein Traum ist es, dass in fünf Jahren 20.000 Menschen im Stadion sind, die die Züge schreien und anfeuern, wer auch immer dieses Spiel gewinnen wird. Und ich glaube tatsächlich, dass Schach ein echter Zuschauersport werden kann." (Quelle: LinkedIn)

 
Carlsen und Kristiansen, Co-Gründer von Take Take Take (Foto: straitstimes.com)

Neben Freestyle Chess und dem Wiedererstarken des Internet Chess Club (ICC) gibt es daher mit Take Take Take nun einen weiteren Player im internationalen Schachbusiness, der das Quasi-Monopol von chess.com angreift, auch wenn es durch die Person von Carlsen sicherlich Verbindungen zwischen chess.com und Take Take Take gibt. Es bleibt spannend, was im Jahr 2025 geschehen wird. 

 

 

 

 

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Michael Busse

Michael Busse

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