Das wird ein Ding gegen Nepo! WM-Vorschau

Das wird ein Ding gegen Nepo! WM-Vorschau

Schach-Ehepaare Du liest Das wird ein Ding gegen Nepo! WM-Vorschau 9 Minuten Weiter Checkliste Organisation eines Schachturniers

Am 7. April beginnt die Schach-WM zwischen Ian Nepomniachtchi und Ding Liren. Der Sieger wird zum 17. Weltmeister der Schachgeschichte gekürt. Anlass genug für eine Vorschau.

Die Vorschau gibt es hier übrigens auch zum Anhören als Podcast.

Die Teilnehmer

Der wichtigste Mann im Weltschach fehlt: Die Nummer 1 der Welt Magnus Carlsen. Der seit über einem Jahrzehnt weltbeste Schachspieler verspürt keine Motivation mehr, sich einem WM-Kampf zu stellen. Allzu aufwändig und intensiv ist ihm die dafür notwendige Vorbereitung.

Somit schlägt die Stunde der Männer hinter ihm. Da ist zum einen der Russe Ian Nepomniachtchi, der allerdings unter der Flagge der FIDE antreten wird. An Erfolgen kann "Nepo" u.a. die Siege im Kandidatenturnier 2020/21 in Jekaterinburg sowie 2022 in Madrid vorweisen. Die Niederlage gegen Carlsen bei der WM 2021 fiel mit 3,5:7,5 jedoch recht deutlich aus.

Sein Gegner ist der Chinese Ding Liren. Sein zweiter Platz beim Kandidatenturnier 2022 macht ihn aufgrund des Carlsen-Verzichts zum Nachrücker. Dies ist insofern kurios, weil er schon beim Kandidatenturnier ein Nachrücker war: Er rutschte dank eines irren Schachmarathons als Ersatz für Sergej Karjakin ins Feld, der von der Ethikkommission der FIDE mit einer sechsmonatigen Sperre belegt worden war. Als größte Erfolge kann Ding u.a. den Triumph im Sinquefield Cup 2019 sowie zwei Goldmedaillen mit der chinesischen Mannschaft bei den Schacholympiaden 2014 und 2018 vorweisen.

Die Wertigkeit

Carlsens Verzichtet entwertet sowohl den Weltmeistertitel als auch seine Position als Nr. 1 der Welt. Beides ist ohne das jeweils andere nicht so viel wert. Garri Kasparov sagt dazu im Interview mit Yasser Seirawan und Jovanka Houska:

https://www.youtube.com/watch?v=0ybGTirpR_I

"Ich kann es kaum als WM-Kampf bezeichnen. Für mich sollte das WM-Match den stärksten Spieler der Welt beinhalten, und dieses Match tut das nicht. Ich bin nicht hier, um Magnus' Entscheidung zu kommentieren, aber es ist eine Art amputiertes Ereignis. Ich habe meine eigene Geschichte mit der FIDE, deshalb werde ich meine Meinung über die FIDE-Meisterschaften nicht ändern. Es ist schade, dass Magnus nicht dabei ist und natürlich ist das Match zwischen Nepo und Ding so oder so eine tolle Show, aber es ist kein WM-Match."

Garri Kasparov

Für Carlsens Verzicht können allerdings die beiden Kontrahenten am wenigsten. WM-Titel bleibt WM-Titel, und der Sieger soll sich ohne Makel mit Fug und Recht Weltmeister nennen dürfen.

Der Austragungsort

Ausgetragen wird die WM in der Stadt Astana in Kasachstan. Zuvor waren auch Länder wie China, Mexiko und Argentinien im Gespräch. FIDE-Präsident Dvorkovich begründete die Vergabe nach Kasachstan mit der günstigen Zeitverschiebung. Ein entscheidender Faktor war sicherlich auch der neue Präsident des kasachischen Schachverbandes, Milliardär Timur Turlov. In Astana fand auch bereits der erste Teil des Frauen-Grand Prix im September 2022 statt.

Die Vergabe nach Astana erfolgte sehr kurzfristig. Dass alles mit heißer Nadel gestrickt ist, zeigt auch die offizielle Homepage der Schach-WM. Zurzeit (Stand 19. März 2023) findet laut jener Seite die WM 2021 zwischen Carlsen und Nepo statt, aktueller Spielstand: 2:2.

Der Modus

Der genaue Modus ergibt sich aus den offiziellen Richtlinien für den WM-Kampf. Es werden maximal 14 Partien mit klassischer Bedenkzeit gespielt. Jeder Spieler erhält 120 Minuten für die ersten 40 Züge, danach 60 Minuten für die nächsten 20 Züge und dann weitere 15 Minuten für den Rest des Spiels, mit einem Inkrement von 30 Sekunden ab Zug 61.

Für einen Sieg gibt es einen Punkt, bei einem Unentschieden erhält jeder Spieler 0,5 Punkte. Der Spieler, der zuerst 7,5 Punkte erreicht, gewinnt die Weltmeisterschaft.

Wenn es nach 14 Partien unentschieden steht (7,0:7,0), wird ein Tie-Break gespielt, der aus Partien mit kürzeren Bedenkzeiten besteht. Dies bedeutet zunächst 4 Partien mit einer Zeitkontrolle von 25+10, bei Gleichstand dann weitere 2 Partien mit 5+3, bei weiterem Gleichstand nochmals 2 Partien mit 5+3, dann eine Partie mit 3+2 und dann weitere Partien mit 3+2, bis eine Entscheidung feststeht. Eine Armageddon-Partie wird also nicht gespielt.

Remisvereinbarungen sind erst nach dem 40. Zug erlaubt.

Die Teams

Über die Sekundanten bzw. Teams der beiden Kontrahenten ist wenig bekannt. Ian Nepomniachtchi wurde bei der letzten WM gegen Magnus Carlsen u.a. von Sergej Karjakin unterstützt. Bei der diesjährigen Ausgabe wird dies kaum der Fall sein. Ding Liren reiste zuletzt völlig ohne Unterstützung zum Kandidatenturnier nach Madrid. Bei der WM wird er allerdings ein Sekundantenteam um sich haben, das aus chinesischen Spielern besteht. Dies gab er im Interview mit der Zeit zum Besten. Erster Kandidat als Unterstützer ist sicherlich Wei Yi, in dessen Gesellschaft Ding des öfteren zu sehen ist.

Die Eröffnungen: Spanisch und Grünfeld?!

Ian Nepomniachtchi ist ein ausgewiesener 1. e4-Spieler. Seine häufigsten Weiß-Partien resultieren demzufolge in Spanisch, Sizilianisch, Caro-Kann oder auch Schottisch. Ding erwidert gegen 1. e4 gern mit Französisch oder auch mit e5, was dann oft in Spanisch mündet. Vermutlich werden wir daher bei Nepos Weißpartien einige Spanisch-Schlachten zu sehen bekommen.

Ding Liren eröffnet dagegen mit 1. d4 oder (seltener) 1. c4. Gegen d4 antwortet Nepomniachtchi fast ausschließlich mit der Grünfeld-Indischen Verteidigung, die durch die Züge Sf6, g6 und d5 gekennzeichnet ist. Es wäre somit verwunderlich, wenn nicht in Dings Weiß-Eröffnungen die ein oder andere Grünfeld-Partie aufs Brett käme.


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Der Preisfonds

Neben dem Titel des Weltmeisters lockt die FIDE auch mit einem Preisfonds von 2 Millionen Euro. 60 % des Betrags gehen an den Gewinner, 40 % an den Zweitplatzierten. Für den Fall einer Entscheidung im Tiebreak lautet die Aufteilung 55% zu 45%. 200.000 Euro haben beide Kontrahenten laut der offiziellen Regularien bereits vorab erhalten.

Der Schiedsrichter

Wer für die Einhaltung der Regeln und auch des Fairplay verantwortlich ist, ist derzeit noch nicht kommuniziert. Der Schiedsrichter wird für seine Arbeit mit bescheidenen 6.300 Euro honoriert.

Der Zeitplan

Am 7. April finden die Eröffnungszeremonie und das sog. Technical Meeting statt, am 8. April der sogenannte Media Day. Die erste Partie wird somit am Sonntag, den 9. April ausgetragen. In der Regel folgen auf zwei Partien ein Ruhetag. Ob die Schlusszeremonie am 30. April (Sonntag) oder am 1. Mai (Montag) gefeiert wird, entscheidet sich anhand der Frage, ob ein Tie-Break benötigt wird oder nicht. Der genaue Zeitplan ist ebenfalls den offiziellen Regularien sowie der nachfolgenden Grafik zu entnehmen.

Quelle: FIDE

Die Chancenverteilung

Beide Spieler haben eine annähernd gleiche Elozahl (Nepomniachtchi 2795, Ding 2788). Die beiden sind damit die Nr. 2 und 3 der Weltrangliste. In klassischen Partien steht es 3:2 für Nepo, bei 8 Remis. Für Nepo spricht der Faktor Erfahrung: Er ist nicht nur zwei Jahre älter, sondern hat bereits eine Weltmeisterschaft bestritten und kennt somit die spezielle Drucksituation. Zudem wirkt Nepo ambitionierter als Ding, der im Zeit-Interview folgendes sagt: "Meine Ambition ist nicht so groß, ich habe mir nie so hohe Ziele gesteckt. Die WM kam als angenehme Überraschung.

Ding hat dagegen beim Faktor Physis die Nase vorn. Nepomniachtchi wirkte bei der letzten WM gegen Carlsen trotz eines Fitnesstrainings bei den Basketballern des FC Bayern München alles andere als körperlich fit.

Wer im Falle eines Tiebreaks die besseren Chancen hat, ist ebenso unklar. Nepo gilt zwar als starker Spieler in kurzen Bedenkzeiten, jedoch kann Ding Liren immerhin einen Sieg im Tiebreak gegen Magnus Carlsen beim Sinquefield Cup 2019 vorweisen.

Die Meinung von Carlsen

Noch-Weltmeister Carlsen hat sich im Lex Fridman Podcast vor sechs Monaten wie folgt geäußert:

https://www.youtube.com/watch?v=0ybGTirpR_I

Generell glaube ich, dass Ding die etwas bessere schachliche Spielstärke hat. Nepo ist super im Kalkulieren von kurzen Spielzügen, besser als ich. Aber wenn es um längere Sequenzen geht, dann fehlt es seinen Kalkulationen manchmal an Tiefe. Er hat aber zuletzt auch seine Eröffnungen verbessert. Ding ist nicht so gut in der Vorbereitung, hat aber ein exzellentes Verständnis für Dynamik und Ungleichgewichte. 

Magnus Carlsen

Die Kommentatoren

Auf welchen Schachkanälen die WM zu verfolgen sein wird, ist noch nicht bekannt. Die FIDE wird ihren YouTube-Kanal für eine Live-Kommentierung nutzen. Inzwischen sind die drei Kommentatoren benannt: Vishy Anand, Irina Krush und Daniil Dubov.

Quelle: FIDE

Auch Marktführer chess.com wird sich das Event sicherlich nicht entgehen lassen. Gerüchten auf Twitter zufolge ist sogar Magnus Carlsen als Kommentator im Gespräch. Auch auf den Kanälen von Chessbase India und chess24 ist eine Liveübertragung zu erwarten.

Szene-Stars wie Gotham Chess werden - wenn schon nicht live - mindestens am Abend eine Zusammenfassung der Partien zeigen. Dasselbe gilt auch für die beiden deutschen Streamer The Big Greek und Niclas Huschenbeth. Auch Jan Gustafsson wird sicherlich hinter dem Mikro zu sehen sein. Wünschenswert wäre auch eine Liveübertragung durch den Deutschen Schachbund auf dem Twitch-Kanal SchachdeutschlandTV. In den nächsten Wochen werden wir dahingehend sicherlich mehr erfahren.

Getrübte Vorfreude

Getrübt wird die Vorfreude nicht nur durch die Abwesenheit Carlsens, sondern auch durch den Ukrainekrieg. Der Russe Nepomniachtchi wird unter neutraler Flagge des Weltverbandes FIDE antreten, während eben jener Weltverband nach wie vor von einem (ehemaligen?) Vertreter des russischen Regimes (Arkady Dvorkovich) angeführt wird. Die Firma des kasachischen Schachpräsidenten Turlov (Freedom Holding), die auch den Preisfonds stiftet, steht auf ukrainischen Sanktionslisten - laut Turlov ein reines Versehen.

Dennoch bzw. umso mehr hoffen die Schachfans auf einen friedvollen und schachlich interessanten WM-Kampf. Die WM gespannt zu verfolgen und mitzufiebern, sollte sich keiner nehmen lassen.


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